So, hier der zweite Teil der Geschichte von letzter Woche (https://feddit.de/post/3481442). Danke an alle, die es lesen!

Vielleicht kennt ihr das, dass ihr etwas tut und noch währenddessen merkt, dass es ein Fehler war. So erging es mir beim Fall aus Willis Boot. Da fiel ich also, sehr überzeugend, in den See, als ich sah, dass das andere Boot bereits näher gekommen war. Natürlich hatte ich das nicht gesehen, da ich ihnen mit dem Rücken entgegen saß. Hätte ich es gesehen, dann wäre ich nicht ins Wasser gesprungen wie der letzte Einfaltspinsel.

Auf dem Boot war nämlich meine Emma, entzückend wie immer, mit ihrem Bruder Ferdinand. Und das war der Moment, in dem mir mein Fehler ins Gesicht sprang wie eine aufgewühlte Katze. Aber es war zu spät. Ich war nass, Charlotte rief wie ein wildgewordener Baum und Willi beobachtete etwas, das einer Wolke nicht nur unähnlich, sondern sogar sehr ähnlich sah. August war mittlerweile wie geplant hinterhergesprungen, um mich zu retten. Auf dem anderen Boot lachte Emma. Und natürlich war da noch Ferdinand, der froschgleiche Charakter, der wahrscheinlich vom Schwanken des Bootes einen ganz grünen Kopf bekommen hatte und jetzt noch amphibischer aussah als sonst schon. Der Kerl lebte fälschlicherweise im Glauben, schon einmal mein Leben gerettet zu haben. Wahrscheinlich dachte er sich, dass aller guten Dinge zwei waren, denn bald schon zerrte nicht nur August an mir, sondern auch Ferdinand, der ebenfalls ins Wasser gesprungen war. Das war mal wieder typisch. Ein so gut durchdachter Plan musste natürlich schief gehen. Ich schwamm selbst zurück und zog mich ins Boot, wo schon eine besorgte Cousine auf mich wartete. August warf mir einen Blick zu, den ich selbstverständlich deuten konnte. Er sagte: „Lass die Finger von der Cousine.“ Dabei war es die Cousine, die mich mit ihren Fingern bearbeitete.

Einen vollkommen anderen Blick warf der Frosch Ferdinand in Richtung Himmel. Einen Blick, den man von einer Kuh im Wasser erwartet hätte, aber sicherlich nicht von einem Frosch. Ferdinands Blick sagte nämlich: „Ich ertrinke!“

Da war sie. Meine Chance, Emma zu zeigen, dass ich der wahre Heros dieses Tages war. Ich war bereit, zurück ins Nass zu springen und den armen Frosch ins Trockene zu bringen. Hätte mich die Cousine nicht mit ihren stämmigen Armen fest im Griff gehabt. Ich versuchte, mich ihr zu entreißen, aber das Ganze war eine Treibsandsituation. Aber jemand wie ich gibt nicht auf und so hatte ich die Partie schon bald gewonnen. Nun war es so, dass ich so beschäftigt war, mich loszureißen. Daher ging es vollkommen an mir vorbei, dass August, dieser Armleuchter, den ertrinkenden Frosch bereits ins benachbarte Boot gerettet hatte, wo sich meine Emma um den armen Kerl kümmerte. Und wieder flogen Blicke, dieser Tag war eine einzige Blickwerferei. Emmas Blick war es dieses Mal, den sie zu August fliegen ließ und der ihm sagen sollte: „Oh, du mein Heros!“ War es nicht der Wille der zählte? Und niemand wollte Ferdinand so sehr retten wie ich.

Besagter Retter war mittlerweile wieder auf unserem Boot und triefte nur so vor Seewasser und Eigenlob.

„Das war tadellos!“, sagte er, stolz wie nie zuvor und ich überlegte, ihn trotzdem zu tadeln. Ich sprang ihm jedoch bei, um unseren Plan doch noch zu erfüllen.

„Sehr tadellos“, sagte ich zustimmend und legte superlativisch nach, „am tadellosesten, findest du nicht auch, Charlotte?!“

„Ach, Karlchen, ich bin eigentlich nur froh, dass dir nichts zugestoßen ist“, antwortete sie und Scham brach wie eine Welle über meinen sowieso schon nassen Körper. Karlchen. Das war nicht auszuhalten.

Ferdinands Boot hatte mittlerweile das Land erreicht und ich dachte mir, dass das ja nicht so schlimm für ihn gewesen sein kann, wenn er es geschafft hatte, schneller an Land zu rudern als wir. Emma und Ferdinand empfingen uns am Steg.

„August, du hast mein Leben gerettet, wie ich einst Karl. Ich werde dir für immer zu tiefstem Dank verpflichtet sein“, sagte Ferdinand und warf mir einen Blick zu, der voller ungesagter Worte war. Aber ich hatte genug von diesen unausgesprochenen Blicken und breitete mich zum Trocknen auf der Wiese aus.

„Karl“, sagte August, der plötzlich neben mir erschien wie einer dieser Geister in alten Gedichten, „meinst du das hat geklappt?“

„August, mein Guter, du hast doch gesehen, wie der Baum mich umschlungen hatte.“

„Welcher Baum?“, fragte August und ich führte das Gespräch fort, ohne diese Frage zu beantworten.

„August, das ist ganz gewaltig schief gelaufen, das ist ein absolutes Brimborium!“

„Ein was?“, fragte August und wieder bekam er keine Antwort.

„Hör zu, wir müssen einen Weg aus diesem Schlamassel finden.“

„Ah, ist das, was Brimborium bedeutet? Schlamassel? Wo findest du nur immer dieses delicate Vokabular?“, fragte August. Jetzt war aber wirklich keine Zeit, über Brimborien und Schlamassel zu sinnieren.

„Wie bringen wir die Cousine dazu, von mir abzulassen und dich in den Griff zu nehmen und, noch wesentlicher, wie bekommen wir Emma dazu, dass sie ihr Interesse an dir wieder verliert?“

„Karl, du Camuff, hab mal keinen Bammel“, begann August und jetzt wollte ich ihn wirklich tadeln. Wie kam er darauf, mir ein delicates Vokabular vorzuwerfen, wenn er mir Sätze wie diesen präsentierte? Er fuhr fort: „Emma ist nichts für mich. Die is‘ viel zu klein. Ich brauch ne richtige Frau. Vor allem wär ich dann mit einem Dusel wie Ferdi verwandt.“ Über den zweiten Punkt hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht, aber das war ein berechtigter Einwurf.

„Und nun? Hast du noch so einen tadellosen Plan?“, fragte ich.

„Natürlich, Karl. Heut Abend beim Willi, da bring ich den neuen Pflaumenlikör vom Opa. Ich sag’s dir, das hilft immer.“

„Hat das jemals geholfen?“, wollte ich wissen.

„Erinnerst du dich an die Elli vom Gießler? Mit der hab ich doch nen Likör getrunken und danach hat sie mir einen Blick zugeworfen, der eindeutig gesagt hat …“

Ich unterbrach ihn, ich hatte noch immer genug von sprechenden Blicken und verweigerte auch jede weitere Erklärung. Aber es war der einzige Plan, den wir momentan parat hatten und hatte wohl noch zu viel Wasser in der Birne, da mir auch kein besserer einfiel. Hauptsache die Cousine würde so schnell wie möglich bei August Wurzeln schlagen. Zu viert machten wir uns auf den Weg zurück ins Dorf. Emma war mit ihrem verfroschten Bruder zurückgeblieben, da dieser sich spontan entschieden hatte, wehleidig zu werden. Und so gern ich Emma auch mochte, einen Ferdinand in solch einem Zustand konnte ich jetzt auch nicht auf mich nehmen.

„Hört mal, ein Specht“, sagte Willi und ich hatte erst jetzt wieder wahrgenommen, dass er auch dabei war. Armer Kerl, ständig so vertieft in die Vogelwelt. Wir blieben stehen und sperrten die Lauscher auf. Nach einer Weile klopfte es. Ein sehr unspektakulärer Vogel war das. Und vor allem, dachte ich mir, müsste das schlimm sein für die anderen Vögel, die schlafen wollen und wurde dann plötzlich selbst wieder müde. Lange hatte ich jedoch nicht Zeit, um vom Schlafen zu träumen, denn schon bald spürte ich etwas in meinem Haar. Ich dachte zuerst an einen frechen Achtbeiner, der dort sein Unwesen trieb, aber es war die Cousine, die versuchte, irgendeinen grünen Stängel mit zugehöriger Blüte in meinen Kopf zu stecken.

„Das steht dir bestimmt, Karlchen“, sagte das Cousinchen Charlottchen und präsentierte mir freudig einen Strauß voller Blumen, die sie entwurzelt hatte. Blumen hatten meiner Meinung nach natürlich ihre Raison d´être, aber es war nicht mein Kopf, an dem sie êtren sollten. Ein Garten, wo ich sie je nach Bedarf betrachten oder ignorieren konnte, schien mir ein geeigneterer.

Zurück im Dorf verabschiedeten wir uns. Die Cousine ein bisschen zu fest für meinen Geschmack. Zuhause angekommen setzte ich mich auf die Bank vor dem Haus, zündete eine Pfeife an und würdigte die Blumen, die in meinem Garten vor sich hin êtreten keines Blickes. Es war schon spät, aber trotzdem noch genug Mittag für den gleichnamigen Schlaf. Ich hängte meine nassen Klamotten an den Apfelbaum, bat Herrn Müller, darauf Acht zu geben und ging ins Bett.

Als ich später am Abend bei Willi ankam, schwebten bereits Augusts Likörgeschichten durchs offene Fenster und mir gingen zwei Erklärungen durch den Kopf. Entweder hatte ich länger geschlafen, als gedacht oder August meinte es tatsächlich ernst mit der Cousine. Normalerweise war er der letzte der in unserer Runde erschien. Momentan war er dabei, von seinen Abenteuern in Berlin zu erzählen. Vom schillernden Nachtleben und Erläuterungen zum korrekten Trinken von Absinth. Ich kannte diese Geschichte schon und zündete mir im Garten vor dem Haus noch eine Pfeife an. Augusts Berlin-Gefasel gesellte sich zu mir.

„Berlin ist so kosmopolitisch, das ist ne wirklich delicate Metropole“, sagte er, „Warst du schonmal in Berlin, Charlotte? Meine Tante wohnt dort und ich kann dich gerne mitnehmen und dir zeigen, wie fabelhaft das Großstadtleben ist.“ Dass seine Tante in Wahrheit irgendwo in der Nähe von Berlin, aber nicht in Berlin wohnte, das verschwieg er selbstverständlich.

„Oh, ich liebe Berlin, es ist so eine wundervolle Stadt“, sagte die Cousine, „Ich glaube, dass jeder einmal im Leben in Berlin gewesen sein muss. Ich würde es nicht ertragen, wenn jemand miserabel über diese wunderbare Stadt sprechen würde. Vielleicht fährt Karlchen mal mit mir hin.“

„Vergiss doch mal diesen Karl. Der hat nichts übrig für Berlin, der ist kein bisschen kosmopolitisch. Willst du noch einen Likör?“

„Karl, du Genius“, sagte ich leise zu mir. Wenn mein spontaner Plan aufginge, dann wär die Sache ganz schnell erledigt.

Es war Zeit für meinen Auftritt. Der zweite Akt, der hoffentlich nicht so ins Wasser fallen würde, wie der erste. Ich klopfte an Willis Türe und unser Spechtfreund reagierte flott.

„Grüß dich, Karl“, sagte er mit Blick und Mund und ich trat ein.

„Hallo, Karlchen“, sagte Charlotte und zog den letzten leeren Stuhl neben sich. Ich setzte mich und bevor ich mit meiner Hand das Glas greifen konnte, das August für mich mit Likör gefüllt hatte, schnappte die Cousine schon meine Hand.

„Schau mal, Karl“, sagte sie und zeigte auf den Blumenstrauß, den jemand behutsam in einen Weinflasche gequetscht hatte, „die sind für dich.“

„Ah“, sagte ich und beschloss, dass es Zeit für meinen Plan war, „was hab ich verpasst? Was ist das Leitmotiv des Abends?“

„Berlin“, sagte August und er schien einen ähnlichen Plan zu haben wie ich, „sag Karl, was denkst du über Berlin?“ Akt Nummer Zwei hatte begonnen.

„Berlin ist ein stockmiserabler, scheußlicher Ort, ich will gar sagen katastrophal! Vor nicht allzu langer Zeit stand ich knietief im Schweinemist und würde einen solchen Ort jederzeit Berlin vorziehen“, erklärte ich und die cousinischen Hände lösten sich. Ich sprang auf und wurde lauter.

„Man muss entweder verrückt sein oder ein ganz mieser Halunke, um sich dort wohlzufühlen!“, rief ich und beendete das Ganze mit einem Grollen, das selbst den größten Donner wie eine schnurrende Katze aussehen ließ.

Und das, mein lieber August, war, wofür das Wort tadellos erfunden wurde. Meine Hände waren cousinenfrei und ich griff nach dem Glas mit Augusts Likör. Der konnte sich glücklich schätzen, dass mein Plan funktioniert hatte. Mit diesem scheußlichen Zeug hätte er den Baum höchstens vergiftet.

„Ach, Karl“, schluchzte die Cousine und sah mich mit Ausgußaugen an, „ich dachte, du wärst etwas ganz Besonderes, aber ich möchte nicht mit jemandem mein Leben verbringen, der so scheußlich spricht.“

Ja, man könnte mir jetzt vorwerfen, ich wäre etwas zu gemein gewesen, aber wenn ich einmal in einer Rolle bin, dann bin ich nur schwer zu stoppen. August nahm die Cousine tröstend in den Arm und versuchte mir zuzuzwinkern, aber das konnte er noch nie, deshalb blinzelte er nur ein paar Mal, bevor er aufgab. Ich würde hier nicht mehr gebraucht werden, also verabschiedete ich mich. Willi hatte von dem allem nicht viel mitbekommen, da er seine Nase in einem Buch vergraben hatte, vermutlich irgendwas mit Vögeln.

Bevor ich Willis Bude verließ, extrahierte ich noch den Blumenstrauß aus der Weinflasche. Den hatte ich mir jetzt verdient.

„Seit wann bist du denn ein Blumenfreund?“, fragte Willi, als ich schon an der Türe war. Der Kerl bekam doch mehr mit, als ich dachte.

„Ich statte Ferdi noch einen Krankenbesuch ab, da kommt man nicht ohne Blumen.“

„Aber Karl, ich glaub du hast da was verwechselt. Ferdi muss von Blumen immer nießen. Ich hab aber gehört, dass Emma Blumen ganz fabelhaft findet.“

Genau das hatte ich auch gehört.