Die Gastronomie will eine dauerhaft gesenkte Mehrwertsteuer und stellt sie als soziale Maßnahme dar. Tatsächlich profitierten besonders Reichere, heißt es in einer neuen Analyse.
Die Warnungen aus der deutschen Gastronomie klingen dramatisch. Ihren Betrieben droht laut Branchenverband Dehoga eine »Katastrophe«, den Gästen ein »Preisschock«. Es gehe um bezahlbare Gaststättenbesuche, faire Löhne, mehr Nachhaltigkeit sowie gesunde Kita- und Schulverpflegung. All das und noch mehr steht laut Dehoga auf dem Spiel, sollte die in der Coronapandemie gesenkte Mehrwertsteuer für die Gastronomie Anfang nächsten Jahres wie geplant wieder von 7 auf 19 Prozent steigen.
Ökonomen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) haben sich nun mit den Warnungen beschäftigt – und sie in fast allen Punkten verworfen. »Die Argumente für eine Entfristung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie können nicht überzeugen«, heißt es in einer Analyse des ZEW, die am Montag erscheint. Die Bundesregierung solle sich deshalb »umgehend zum Ende des ermäßigten Steuersatzes für Restaurantdienstleistungen zum Jahresende bekennen«.
Dass sich die Forscher so deutlich positionieren, liegt auch daran, dass der Dehoga wichtige Unterstützer gefunden hat: Die Unionsbundestagsfraktion forderte in einem eigenen Antrag, die Mehrwertsteuer dauerhaft zu senken, und auch Vertreter der Ampelparteien zeigen Sympathie für diesen Schritt. Schließlich klingt es nach sozialer Politik, wenn der Verband beteuert: »Wir wollen, dass für Normalverdiener und Familien auch in Zukunft ein Gaststättenbesuch bezahlbar ist.«
Gerade dieses Argument halten die Autoren um den ZEW-Ökonomen Friedrich Heinemann aber für falsch. »Empirisch ist das Gegenteil der Fall«, schreiben sie. Die Haushaltsausgaben für Restaurantbesuche stiegen mit dem Einkommen, zudem würden solche Dienstleistungen stärker von Haushalten ohne Kinder nachgefragt. »Die gegenwärtige Steuerermäßigung für Restaurants ist somit regressiv: Sie begünstigt relativ reiche und kinderlose Haushalte.« Solche Verteilungsaspekte hätten »bislang zu wenig Beachtung in der Debatte gefunden«.
»Auch ein Dreisternerestaurant wird subventioniert«, sagte Heinemann dem SPIEGEL. Die Kosten dieser Förderung mit der Gießkanne sind laut ZEW erheblich. Eine dauerhafte Senkung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie würde allein im kommenden Jahr Steuerausfälle von rund 3,3 Milliarden Euro bedeuten. Über die kommenden zehn Jahre gehen die Forscher von insgesamt knapp 37,8 Milliarden aus. »Bei so einer kostspieligen Subvention muss die Begründung besonders gut sein«, sagt Heinemann.
Die Gastronomen argumentieren, ihre Lage sei auch nach Abflauen der Coronapandemie schlecht. Sie verweisen auf rückläufige Umsätze und Zehntausende Betriebsschließungen. Die ZEW-Forscher bestreiten zwar nicht, dass Corona für die Branche »enorme Härten« bedeutet hat. Doch zu deren Abfederung habe die Politik auch umfangreiche Hilfen zur Verfügung gestellt. Die heutigen Probleme der Gastronomie lägen auch an langfristigen Veränderungen wie dem verstärkten Trend zum Homeoffice. »Die Post-Pandemie-Zeit mutet der Gastronomie wie anderen Branchen auch einen weiteren Strukturwandel zu, der aber keine Rechtfertigung für eine dauerhafte Subventionierung liefert.«
Außerdem ist die Lage der Branche laut ZEW nicht durchweg schlecht. In Großstädten lägen die realen Umsätze schon wieder über Vorkrisenniveau. Seit 2020 habe die Branche zudem trotz der Mehrwertsteuersenkung starke Preiserhöhungen durchsetzen können – wohl auch in Erwartung der geplanten Wiederanhebung. Deshalb sei »nicht plausibel«, dass es Anfang nächsten Jahres zu dem vom Dehoga angedrohten »Preisschock« kommt – zumal auch die Energiekosten zurückgegangen seien.
Ähnlich unwillig kommentieren Heinemann und zwei Co-Autorinnen weitere Dehoga-Argumente: Die gesenkte Steuer als Beitrag zu fairen Löhnen? Fast die gesamte Wirtschaft habe mit Arbeitskräftemangel zu kämpfen, da sei die Subventionierung einzelner Branchen keine Lösung. Gesündere und nachhaltigere Nahrung dank der sieben Prozent? Der Rabatt sei mit keinerlei Auflagen verbunden, weshalb ein argentinisches Steakhaus genauso profitiere wie ein veganes Restaurant. Die reduzierte Steuer als Betrag zum Erhalt von Dorfgasthöfen als Kulturgut? Deren Sterben dürfte eher mit veränderten Präferenzen zusammenhängen, heißt es. Dass eine Steuersenkung sie retten kann, sei »nicht einmal ansatzweise« empirisch belegt.
Auch die Tatsache, dass in den meisten anderen EU-Ländern schon heute ein ermäßigter Satz für Restaurants oder Cafés gilt, überzeugt die Autoren nicht. Gastronomische Dienstleistungen würden lokal angeboten und stünden damit kaum im internationalen Wettbewerb. Schon eher sehen sie ein Problem bei der Ungleichbehandlung mit Lieferdiensten, die prinzipiell nur den ermäßigten Satz bezahlen. Hier sei die Abgrenzung »schwammig«. Die Reaktion solle aber nicht sein, den schon heute unübersichtlichen Dschungel aus vollen und reduzierten Sätzen noch auszuweiten.
Zumindest eine weitere Ausnahme aber halten Heinemann und Co. für bedenkenswert: Durch eine Subventionierung von Kita- und Schulverpflegung sei zum einen tatsächlich eine zielgenaue Begünstigung ärmerer Haushalte möglich. Zum anderen werde damit auch die Vereinbarkeit von Beruf und Elternschaft gefördert. Darüber hinaus aber – so der abschließende Appell an die Politik – müsse eine »weitere Aushöhlung« der Mehrwertsteuer vermieden werden.
Die Gastronomen sollen aufhören zu jammern! Wer für ein Schnitzel mit Pommes -beides aus der Friteuse und beides billige TK Ware- 30 Euro verlangt und dann auch noch Steuersenkungen fordert ist doch nicht mehr ganz dicht. Essen zu gehen können sich seit Jahren eh nur noch Besserverdiener leisten und die gehören nicht subventioniert.
Stattdessen sollten meiner Meinung nach lieber der Mindestlohn und das Bürgergeld erhöht werden, damit es sich wieder Alle leisten können essen zu gehen.
Die von dir beschriebenen Gastronomen, also viele Imbisse, haben bereits seit langer Zeit einen festen Steuersatz von 7% auf die meisten ihrer Verkäufe, und sie werden diesen auch im nächsten Jahr behalten. Aber wie sieht es mit den Gastronomiebetrieben aus, die nicht dem von dir beschriebenen Modell folgen, sondern Handwerk ausüben und zusätzlichen Aufwand und Kosten für Räumlichkeiten und Service haben? Diese Betriebe existieren tatsächlich, und es gibt mehr davon, als man denkt, wenn man nicht nur Frank Rosin auf Kabel 1 schaut. Meiner Meinung nach ist es einfach nicht fair, dass diese Betriebe einen höheren Steuersatz bezahlen als ein Take-Away.
Essen zu gehen können sich seit Jahren eh nur noch Besserverdiener leisten
20€ kann man schonmal ausgeben für ein Abendessen im Monat. Auch wenn man nicht viel verdient. Die Mitte der Gesellschaft geht mindestens einmal pro Monat essen safe.
Ich finde einmal im Monat sehr selten. Ich meine damit nicht schick in Restaurant essen gehen sondern zB Falafel essen. Ein Falafel mit Getränk kostet mittlerweile aber 10 Euro. Früher gabs das für 5 Mark und wenn jemand 20 Mark dafür verlangt hätte wäre der für verrückt erklärt und ausgelacht worden.
Hä, aber dann macht das noch weniger Sinn. Die meisten holen sich doch mindestens einmal die Woche nen Döner/Falafel. Auch bei den heutigen Preisen. Dafür muss man auch nicht viel verdienen. Ich hab vllt 1k im Monat zur Verfügung und mache es auch. Ist natürlich trotzdem nicht nice, dass alles teurer wird.
Finde ich schwierig zu bewerte. Das mit dem verminderten Steuersatz ist so eine Sache, da gibt es einige Sachen, die einem eher nach Willkür (oder Lobbyismus) vorkommen.
Im Allgemeinen gilt natürlich immer: Will man, dass die Leute mehr Geld ausgeben, muss man ihnen mehr Geld geben.Wie wär’s mit Vermögenssteuer statt Mehrwertsteuer?
CDU /CSU, FDP und AFD: Nein!!!
Ohne die wäre es vermutlich möglich.
Dem letzten Satz würde ich grundsätzlich zustimmen aber in sehr personalintensiven Bereichen, wie es Gastronomie sein sollte, trifft das leider nicht ganz zu. Dort sind Personalkosten und Wareneinsatz die größten Kostenfaktoren. Beides ist die letzten Jahre stark gestiegen. Finde ich persönlich notwendig und gut, aber Essengehen wird dadurch nicht erschwinglicher.
Dass die Leute sich über ein 23€ Schnitzel echauffieren, finde ich verwunderlich. Der Gast will guten Service, komplettes Handwerk und das Kalb soll am besten zu Tode gestreichelt worden sein. Für 12,50€, bitte!
Wenn jeder Haushalt 100 € im Monat mehr in der Tasche hätte, dann würden auch wieder mehr ins Restaurant gehen.
Klar gibts da die Menschen, die sich nie an steigende Preise anpassen. Für die breite Masse bleibt es aber auch doch einfach eine Frage des Leisten könnens. Und wenn die Leute die 100 € mehr lieber wo anders lassen, dann ist das Geschäftsmodell eben nicht mehr so erfolgreich und der Markt muss sich konsolidieren. Wie im Artikel geschrieben, gibts genug Arbeitskräftemangel überall und die Subvention einer Branche für Besserverdiener ist nicht sinnvoll.
Ich find’s auch schwierig. Jedenfalls hab ich gemerkt, dass bei den Restaurants in meiner Umgebung sowohl die Preise gestiegen sind und zum Teil auch noch die Portionsgröße verkleinert. Essen gehen macht echt überhaupt keinen Spaß mehr. Bei Foodtrucks ist es besonders extrem. Die verkaufen gebratene Pilze, Nudeln, Crepes, usw. Alles Sachen, die im Einkauf und in der Zubereitung spottbillig sind, und dann wird das für teilweise 6-7 Euro rausgehauen für ne Miniportion
Vielleicht lernen die Leute dann mal wieder, wie man zu Hause einen ordentlichen Eintopf und Bratkartoffeln kocht.
Zuhause kochen ist super. Zuhause kochen weil man sich nix anderes leisten kann ist … nicht super.
Weiß nicht, finde ich nicht weiter schlimm. Dann sind Restaurants halt nichts mehr für mich. Ich könnte es mir leisten, mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern landest du aber locker bei 75€ plus und das ist für die meist gebotene Qualität ein Witz. Würde ich auch nicht machen wenn ich Millionär wäre.
Zu Hause kochen für 4 Personen ist aber auch deutlich effektiver was Zeit und Kosten angeht als z.B. zu Hause kochen für eine Person.
Effektiver ja aber dauert insgesamt trotzdem länger. Das Argument, dass einem absolut die Zeit fehlt nicht zu kochen, ist fast immer vorgeschoben.
Ich finde es ehrlich gesagt verrückt wenn man die Nahrungsversorgung vollständig oder auch nur zur Hälfte oder so externalisiert.
Wenn man nicht mehr soviel Zeit mit existenzminimumserhaltender Arbeit verbringen muss, ist das sicherlich eine gute Sache.
Es geht beim Zuhause kochen (bzw. bei convenience-Produkten) nicht nur ums Geld für die Zutaten, sondern auch um die Zeit, die man oft nicht hat. Und zu dieser Zeit gehört auch das Aufräumen und Putzen danach. Wird leider häufig unterschlagen. Das ist für Geringverdiener, oder Alleinerziehende eine Menge extra Arbeit.
Ja, ne. Das überzeugt mich einfach nicht. Ich arbeite auch Vollzeit+ und ja, mir ist Müßiggang nicht unbekannt. Hin und wieder gibt’s Pizza oder Döner aber regelhaft steht bei den Kids abends etwas warmes auf dem Tisch. Und wenn’s mal nur Spaghetti Bolognese sind.
Man muss sich halt mal organisieren, vorkochen oder an einem Abend, an dem man etwas mehr Zeit hat, vorschälen und vorschnippeln. Kartoffeln und Gemüse bleiben im Kühlschrank Tage frisch.